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Hören Sie auf zu loben!

Wenn Sie loben, stellen Sie sich über andere. Sie schaffen vertikale Beziehungen statt horizontale. Lob festigt Hierarchie. Und es macht abhängig. Beschränken Sie sich stattdessen auf ein aufrichtiges «Danke».

Ja, Sie haben richtig gelesen: Hören Sie auf zu loben! Vermutlich sind Sie bisher vom Gegenteil ausgegangen, nicht? Regelmässig kann man in diversen Quellen lesen, dass in Unternehmen zu wenig gelobt würde. Oft wird dann von Führenden gefordert, mit Lob nicht derart spärlich umzugehen. So sind (und vermutlich werden auch weiterhin) Führende landauf und -ab darauf getrimmt, Mitarbeitende zu loben, weil sie sich dann bestätigt fühlen, Wertschätzung erfahren und sich mehr engagieren. Das ist leider ein folgenschwerer Irrtum.

Diese Effekte stellen sich nur dann ein, wenn Sie Mitarbeitende gerecht und gleichwertig behandeln. Doch wenn Sie loben, stellen Sie sich über andere, qualifizieren und festigen eine vertikale Beziehung – kommunizieren also nicht auf Augenhöhe. Und wer Lob sucht, macht sich abhängig. Lob scheint bloss positiv, seine Auswirkung auf Beziehungen ist es nicht.

Horizontale Beziehungen schaffen.

Eigentlich hat der Psychologe Alfred Adler (von 1870 bis 1937) darauf hingewiesen, dass Lob (oder auch Tadel) eine nicht-gleichwertige, sogenannte vertikale Beziehung schafft. Ihr setzt Adler die horizontale Beziehung gegenüber, in welcher sich Parteien gleichwertig behandeln und darauf achten, die Aufgaben sauber zu trennen. Lassen Sie mich letzteres an einem Beispiel erklären:

Nehmen wir an, Sie führen ein Team und darin gibt es einen Minimalisten. Er meldet sich nie freiwillig, wartet bis andere zusätzliche Aufgaben übernehmen und er zieht mehr oder weniger autonom sein Ding durch. Fachlich gibt es nichts zu bemängeln, seine Beiträge erfüllen die geforderten Kriterien. Doch sein Verhalten stösst den anderen Teammitgliedern sauer auf und sie beklagen sich zunehmend bei Ihnen. Wie gehen Sie vor?

Option 1: Ihr Feedback ist qualifizierend, wie beispielsweise «Du unterstützt dieses Team nicht. Übernimm in Zukunft zusätzliche Aufgaben!» Dadurch entsteht nicht nur eine vertikale Beziehung, sondern Sie mischen sich unnötigerweise ein. Denn es ist allein die Entscheidung dieses Mitarbeitenden, ob und wie er auf dieses Feedback reagieren will. Vermutlich wird es ihm die Teamarbeit nicht gerade schmackhaft machen und Sie werden über kurz oder lang keine Veränderung feststellen.

Druck erzeugt immer Gegendruck.

Jedoch gibt es andere Möglichkeiten, ein Team zu unterstützen als mit zusätzlichen Aufgaben. Und diese Möglichkeiten schliessen Sie aus, wenn Sie sich einmischen. Es ist ihre Aufgabe, für die Teamperformance günstige Rahmenbedingungen zu setzen. Es ist die Aufgabe der Mitarbeitenden, sich zu entscheiden, ob und wie sie diese Rahmenbedingungen nützen. Wenn Sie es nicht tun, ist es wiederum ihre Aufgabe, darauf zu reagieren und durch ihre Entscheidungen, neue Rahmenbedingungen zu schaffen – in extremis eine Trennung. Sie sollten sich jedoch keinesfalls dazu verleiten lassen, die Aufgaben der Mitarbeitenden zu übernehmen, im skizzierten Beispiel also aufzuzeigen, welche zusätzlichen Aufgaben dieser Mitarbeitende übernehmen soll. Dadurch mischen Sie sich ein, stellen sich über ihn und behandeln ihn nicht gleichwertig.

Man kann ein Pferd zum Brunnen führen, doch saufen muss es selber.

Option 2: «Ich erwarte, dass Du dieses Team gerade in Engpässen pro-aktiv unterstützt, sodass alle ihre Ziele erreichen können. Welche Möglichkeiten schlägst Du vor?» (Die geneigten Lesenden unter Ihnen erkennen dahinter die verkürzte SFA-Methode, wie ich sie in meinen Workshops gelegentlich vorstelle). Diese Formulierung schafft Ihnen Möglichkeiten, Veränderungen im Verhalten des Mitarbeitenden zu beobachten und zu quittieren – nur keinesfalls qualifizierend, sondern wertschätzend: «Dein Beitrag hat uns geholfen, pünktlich zu liefern. Danke.» Dieses Feedback macht Teamarbeit wesentlich schmackhafter als die erste Option und schafft eine horizontale Beziehung ohne Einmischung.

(Anmerkung: Selbstverständlich sollten Sie sich als Teamleader im Beispiel oben gelegentlich fragen, weshalb sich Mitarbeitende bei Ihnen beklagen und nicht beim Minimalisten. Gewisse Rahmenbedingungen (Vertrauen, psychologische Sicherheit, Ehrlichkeit, Feedback-Verhalten, …) liessen sich vermutlich besser ausgestalten.)

Abhängigkeiten vermeiden.

Lob macht unbewusst abhängig – abhängig von Lobenden. Irrtümlicherweise setzen wir Lob oft gleich mit Anerkennung oder Zugehörigkeit und leiten daraus unseren Selbstwert ab. Das ist gefährlich. Wir sollten uns selber wertschätzen können auch ohne Lob von anderen. Sonst entstehen unglückliche (vertikale) Beziehungen, in denen wir uns unterordnen. Leider sind die meisten unter uns damit aufgewachsen, dass Lob die (einzig) zu maximierende Dimension war: Lob von den Eltern, von den LehrerInnen, von den TrainerInnen, von den AusbilderInnen, von den KollegInnen. Ich musste dann irgendeinmal erkennen, dass nicht jedes erhaltene Lob einer positiven Absicht entspringt, sondern von gewissen Menschen äusserst manipulativ genutzt wird. Spätestens dann wurde mir klar, dass mit dem Konzept des Lobens vermutlich etwas nicht stimmte – doch wie kann ich mich davon lösen? Zwar ist es mir vermutlich bis heute noch nicht abschliessend gelungen. Dennoch versuche ich täglich, selber bewusst auf Lob zu verzichten (ganz egal welche Erwartung das gegenüber hat) und stattdessen horizontal, wertschätzend zu kommunizieren. Wenn auch Sie diesen Weg beschreiten möchten, dann habe ich nachfolgend einen einfachen Tipp, der mich und viele andere aus ihren unsäglichen Lob-Abhängigkeiten geführt hat.

Dankbarkeit zeigen.

Adler würde Ihnen empfehlen, von der Ebene des Verhaltens auf die Ebene des Seins zu wechseln. Damit meint er, dass Sie Mitarbeitenden dankbar sein sollten, allein dafür, dass es sie gibt, dass sie wertvoll und von Nutzen sind. Denn alle Menschen sind von Nutzen. Indem wir diesen Nutzen ansprechen, bieten wir die Basis für das richtige Selbstwertgefühl (also jenes, dass sich unabhängig von Lob entwickeln kann). Dieses Wertgefühl ist deshalb derart wichtig, weil es Menschen ermutigt, ihren Weg zu gehen. Mit Mut wagen wir neue Schritte, die uns und andere weiterbringen, ohne Lob zu erwarten – einfach, weil es richtig ist, sie zu tun.

Nehmen Sie diesen Tipp nicht auf die leichte Schulter. Dieser Perspektivenwechsel ist nicht trivial, denn wir sind uns eben gewohnt, Lob mit Leistung (also Verhalten) zu verbinden. Und ich Ihrem unternehmerischen Umfeld wird es vermutlich auch ständig um Leistung gehen. Jemanden zu danken, nur weil es sie oder ihn gibt? Echt? Leistung verdrängt den Menschen als Menschen an die Peripherie und reduziert ihn auf seinen messbaren und ökonomisch bewerteten Beitrag. Kein Wunder also, dass Menschen, die ihren Beitrag schwinden sehen (beispielsweise altersbedingt), sich wertlos vorkommen. Das finde ich beschämend.

Erweitern Sie bewusst diese Perspektive und zeigen Sie sich dankbar den Mitarbeitenden gegenüber. Setzen Sie sich hin und fragen Sie sich, wem Sie für was (welchen impliziten oder expliziten Nutzen) dankbar sind. Und dann teilen Sie Ihren Dank – entweder in einem persönlichen Gespräch oder mit einer persönlichen, handgeschriebenen Karte. Altmodisch? Warten Sie, bis Sie eine solche Karte erhalten!

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