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Bedeutsame Beziehungen aufbauen.
Der (digitale) Umgang mit COVID hat es uns ermöglicht, rasch mit anderen in Kontakt zu treten. Doch stehen wir auch in Verbindung? Und wie entsteht diese?
In Zeiten von Home Office war (und ist) der Ruf nach Hilfsmitteln, Tipps und Tricks für Führung auf Distanz nicht zu überhören. Doch wer ruft eigentlich und weshalb? In der Regel rufen Führende, die: • mit Mitarbeitenden eher in Kontakt stehen statt in Verbindung; • eher IM System statt AM System arbeiten, also eher erledigen statt gestalten.
Wer Verbindung herstellt, Kontext bietet und gestaltend wirkt, bildet Schritt für Schritt qualitative Beziehungen. Diese zeigen ihren Wert und ihre Bedeutung nicht nur aber eben gerade auch in Krisen – also dann, wenn vieles unklar oder unsicher erscheint und bewährte Ansätze nicht mehr greifen. Dann wenden wir uns an Menschen, denen wir vertrauen, zu denen wir eine Verbindung haben. Und nicht an Menschen, mit denen wir bloss in Kontakt stehen. COVID hat uns dies sehr drastisch vorgeführt: Wie oft haben wir in den letzten Monaten den Satz gehört «ich erkenne nun, was und wer mir wichtig ist»? Welche beruflichen Beziehungen haben Sie aus Ihrem Home Office heraus gepflegt? Weshalb diese und nicht andere?
Mitarbeitende, die sich in einem Unternehmen integrieren und sich für spannende Projekte, Aufgaben oder auch Beförderungen positionieren wollen, haben unter den Home Office Restriktionen gelitten. Wie sollen sie ihre Ambitionen erreichen, wenn sie noch keine bedeutenden Beziehungen aufbauen konnten oder wenn sie aus Sicht der Führenden eben erst ein Kontakt sind und keine Verbindung? Es gab über knapp eineinhalb Jahre kaum Möglichkeiten, sich informell mit Kollegen zu treffen und an der Qualität der Beziehungen zu arbeiten. Das galt selbstverständlich auch für Führende, die sich quasi von einem Meeting in das nächste klickten und kaum Zeit fanden, Verbindungen zu stärken. Von ihnen habe ich zwar oft vernommen, wie effizient sie nun in ihren Projekten und Meetings seien und wie überrascht darüber, wieviel Zeit sie unter «normalen Bedingungen» verlören. Selbstverständlich erzielen wir durch Arbeit IM System oftmals eine direkte Wirkung (ein Projekt kommt voran, ein Problem wird gelöst, eine Entscheidung gefällt). Dagegen erzielt die Arbeit AM System eine weit indirektere Wirkung und bedarf ständiger Impulse, damit sich eine bestimmte Rahmenbedingung ändert, sich eine Chance ergibt, sich neue Wege öffnen. Dass hierbei über weite Strecken weit weniger «erreicht» wird als in streng geführten Projektmeetings, ist nachvollziehbar. Doch während die Arbeit IM System vor allem Beziehungen nützt, baut die Arbeit AM System diese erst auf. Und wenn letztere vernachlässigt wird, leiden letztlich diese Beziehungen: Die Verbindungen dünnen aus.
Deshalb finde ich die Frage interessant, wie Sie bedeutsame Beziehungen – also eher Verbindungen statt Kontakte - bauen und erhalten? Kurz: Indem Sie sich öffnen.
Auch wenn das einfach klingt, tun sich gerade Führende oft schwer damit. Meistens aus den folgenden zwei Gründen:
Erstens meinen viele, es handle sich um eine binäre Entscheidung: Ich öffne mich oder nicht. Dabei ist es durchaus möglich, sich graduell zu öffnen: Wem gegenüber wie weit? Und in welchen Themen? Sich zu öffnen bedeutet nicht, dass Sie keine Wahl haben, was andere von Ihnen wissen dürfen und was nicht. Solange Sie Offenheit als etwas binäres im Sinne von «all or nothing» verstehen, werden Sie wahrscheinlich eher Bedenken haben, sich zu öffnen.
Zweitens besteht die Meinung, dass man durch eine offene(re) Art und Weise auch verletzlich(er) wird, was ausgenützt werden könnte. Diese Möglichkeit besteht in der Tat. Doch überwiegt meines Erachtens das Argument, dass Mitarbeitende Sie dadurch klarer erkennen und Ihnen deshalb leichter vertrauen. Und – wie so oft in solchen Situationen – werden sich Mitarbeitende Ihnen gegenüber ebenfalls offener zeigen. In Summe führt das dazu, dass alle weniger Hypothesen haben über die Kolleg*innen links und rechts, dafür mehr Klarheit, mehr Vertrauen, weniger Unsicherheiten.
Und so schliesst sich ein Kreis: Verbindungen schlagen Kontakte in unsicheren Zeiten. Verbindungen sind bedeutende Beziehungen und stützen auf gegenseitiges Vertrauen. Vertrauen benötigt nicht nur Ehrlichkeit, sondern auch Transparenz. Und diese entsteht durch Offenheit.
Möglicherweise fragen Sie sich nun, über was Sie sich denn öffnen könnten? Selbstverständlich sind die Präferenzen hierzu ganz individuell. Deswegen schlage ich eine outside-in Perspektive vor – also, dass nicht Sie sich fragen, wie weit Sie sich öffnen wollen, sondern wieviel andere benötigen: Würden Sie sich vertrauen, wenn Sie ein Mitarbeitender wären? Wenn ja, weshalb und was könnten Sie allenfalls noch beitragen, um dieses Vertrauen weiter zu stärken? Wenn nein, weshalb nicht? Wo sind Sie nicht ehrlich zu sich? Behalten Sie Mitarbeitende, von denen Sie sich lieber trennen würden? Haben Sie Projekte angenommen, obwohl Sie vor lauter Bäumen kaum noch den Wald sehen? Machen Sie nicht, was Sie sagen? Lügen Sie andere oder sich selber an? Was es auch ist, möglicherweise gibt es gute Gründe oder sie unterhalten ein Muster, das sich irgendwie eingeschlichen hat. Dann sollten Sie sich zuerst gegenüber sich selber öffnen (lernen). Das tut zwar weh, ist jedoch befreiend und vermutlich unvermeidbar für Ihren inneren Frieden.