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Führung und Karriere – eine toxische Verbindung

Der Wunsch nach einer Karriere und jener nach Führungs­ aufgaben sind nicht identisch. Trotzdem werden sie in der Gesellschaft und in Unternehmen oft als ein und dasselbe verstanden – mit verheerenden Folgen.

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Erschienen im ORGANISATOR 05/19

Ist es nicht zynisch, dass ausgerechnet Vorgesetzte regelmässig Mitarbeitenden eine geringe Veränderungsbereitschaft vorwerfen, während sie sich selber erst dann bewegen, wenn ihre Vorteile gesichert sind? Verlieren Vorgesetzte eine Position, verlieren sie an Bedeutung. Deswegen halten sie an ihnen fest und verhindern alles, was sie gefährden könnte. Das liegt daran, dass Sozialprestige an die Position gebunden ist. Führung hingegen kennt kein Sozial- prestige, sondern will grundsätzlich Menschen, Unternehmen und die Gesellschaft weiterbringen. Sie geschieht im grösseren Kontext und schafft für andere günstige Rahmenbedingungen, so dass sie erfolgreich wirken können. Führung ist weder an bestimmte Menschen noch an bestimmte Positionen gebunden, sondern bezeichnet eher eine Haltung.

Disruption der Hierarchie

Während Führung überall und grundsätzlich von allen Mitarbeitenden wahrgenommen werden könnte, erzeugen Karrieren unnötige Engpässe. Ist ein Gut knapp, so steigt dessen Preis. Eine Karriere gewinnt an Wert, je mehr Mitarbeitende «unter» jemandem arbeiten. So entsteht ein Wettbewerb um Positionen. Ob Vorgesetzte in den höchsten Rängen gleichzeitig auch die besten Führenden sind? Ich bezweifle es.

Solange Unternehmen Karrieren anbieten, schaffen sie falsche Anreize. Drastische Veränderung in der Organisation sind gefragt. Ich fordere Unternehmen deshalb auf, Disruption nicht bloss in Prozessen und Technologien zu suchen, sondern auch direkt in ihren Hierarchien. Dabei geht es nicht bloss darum, diese abzubauen, sondern den Kern der Führung in den Mittelpunkt zu rücken – gerade auch im Hinblick auf die Auswirkungen der digitalen Transformation.

Die Digitalisierung fördert flexible Strukturen und eine lösungsorientierte Kooperation. Hierarchien werden durch sie teilweise überflüssig und weniger wertvoll. Das ist eine positive Entwicklung, nur wird damit leider auch gleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Denn solange Unternehmen Hierarchie und Führung als Einheit wahrnehmen, werden sie nicht das eine eliminieren und gleichzeitig das andere stärken können. Sie benötigen ein Führungsverständnis, das die zentrale Bedeutung von Leadership für die Weiterentwicklung anerkennt und fördert. Daraus entsteht ein neuer Job, für den sich leider bisherige Positionsinhaber nur selten eignen. Unternehmen sollten also auch die Rolle und Bedeutung traditioneller «Managementschmieden» hinterfragen.

Demokratisierung der Führung

Sind die neuen Ausbildungslehrgänge beispielsweise zu «Digital Leadership» eine Option? Nur dann, wenn es ihnen gelingt, die toxische Verbindung zwischen Karriere und Führung aufzulösen. Unternehmen müssen erkennen, welche Bedeutung der Führung für die Gestaltung der Zukunft wirklich zukommt. Sie sollten verstehen, wie diese flächendeckend von allen Mitarbeitenden wahrgenommen werden kann. Das stärkt und pflegt die Kollaboration, Integration und letztlich die erfolgreiche Unternehmensentwicklung. Führung ist Kultur ist Führung. Und sie ist damit der einzige wesentliche Unterschied am Markt. Deswegen gehört sie nicht (mehr) in die Hände von Karrieristen.

Mehr dazu auch im Buch “Führen mit der T.I.G.E.R.-Methode”

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