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Gewinnen oder nicht verlieren?

Wollen Sie gewinnen oder nicht verlieren? Eine Perspektive auf Transformationen.

Wie können Führende in Unternehmen bewährte Qualität erhalten, wenn sich deren Zutaten (Technologien, Käuferverhalten, Arbeitswelten oder Kooperationsmodelle) laufend ändern? Indem sie ihre Erwartungen hinterfragen.

«Wenn ich nicht verliere, kann der andere nicht gewinnen.» Mit diesen Worten soll Boris Becker einmal seine Spieltaktik beschrieben haben. Ob Sie sich Herausforderungen entweder als «Gewinner» oder als «Nicht-Verlierer» stellen, beeinflusst Ihre Fehlerbereitschaft. Und wenn Sie starr an einer der beiden Rollen festhalten, begehen Sie mitunter die falschen Fehler und verpassen Chancen.

Wollen Sie nicht verlieren, dann werden Sie keine Fehler zulassen, mehr kontrollieren und auf Bewährtes setzen. Alles andere ist fahrlässig. Sie versuchen, potentielle Stolperfallen oder heikle Situationen zu antizipieren. Es darf Ihnen nichts entgehen. Ihre Perspektive ist selektiv, fokussiert, eng.

Wollen Sie gewinnen, dann suchen Sie nach neuen Wegen. Sie sind neugierig, Sie fragen. Selbst wenn Sie vorsichtig vorgehen, nehmen Sie unerwünschte Ergebnisse in Kauf. Ihre Perspektive ist weit und offen. Dadurch behalten Sie Ihr Ziel im Auge und können auf andere Wege ausweichen, sollten Sie einmal steckenbleiben – anschaulich dargestellt am sogenannten «slow elevator problem» (Quelle: Wedell-Wedellsborg; T.: What’s your problem? (2020)):

Der Besitzer einer Geschäftsliegenschaft wird mit Reklamationen der Mieter konfrontiert, der Lift sei zu langsam. Er sucht nach Lösungen (Geschwindigkeit erhöhen, Kapazität vergrössern, Mieter-Cluster bilden, damit mehr «Fahrgemeinschaften» entstehen, …). Alle sind mit enormem Aufwand verbunden. Beim Lunch spricht er mit einem Kollegen, einem Facility Manager über sein Problem und dass er bisher keine brauchbare Lösung gefunden habe. Der Kollege meint darauf, dass das eigentliche Problem nicht der Lift sei, sondern die individuell gefühlte Wartezeit. Eine einfache Lösung bestünde darin, Spiegel im Wartebereich anzubringen. Nichts ziehe die Aufmerksamkeit der Wartenden so auf sich, wie das eigene Spiegelbild.

Während Einzelsportler*innen je nach Spielstand, Training und Möglichkeiten die eine oder andere Rolle wählen, ist dieser Entscheid für Führende komplexer. Denn die ausschlaggebenden Einzelereignisse sind miteinander verwoben, stehen in (undurchsichtiger) Wechselwirkung zueinander, lassen sich nicht isolieren. Die einfache Entscheidlogik «wenn X, dann Y» greift nicht.

Transformationen lesen.

Nun gebären Transformationen jedoch trotz bester Vorbereitung laufend solche undurchsichtigen Situationen. Oft lösen Sie deswegen auch intensive emotionale Reaktionen aus. Ihre meist unbekannten Wechselwirkungen mit Umsystemen, machen Transformationen zu unberechenbaren, mehrdeutigen und überraschenden Phänomenen, die Führende auf unterschiedlichste Weisen fordern (Quelle: Duck, J.: The Change Monster (2002)). Als Führende sollten Sie beide Rollen (gleichzeitig, gleichberechtigt) ausfüllen: Risiken eingehen UND Fehler vermeiden.

Nun mögen Sie einwenden, dass die einen eben eher ein halb leeres und die anderen eher ein halb volles Glas sähen. Das sei mit deren Persönlichkeit verknüpft. Nur weil sich diese Begründung hervorragend eignet, wichtigen Führungsherausforderungen auszuweichen, wird sie dadurch nicht wahrer. Optimismus und Pessimismus sind angelernte Interpretationen und nicht etwa fest in der DNA «verdrahtet». Sie lassen sich also gezielt verändern (Quelle: Seligman, M.: Learned Optimism (2006)). Mit anderen Worten: Wir alle können beide Rollen lernen und uns in unberechenbaren Ereignissen während Transformationen passend verhalten.

Exkurs: 2 Wölfe

Ein Grossvater erzählt seiner Nichte von den zwei Wölfen, die in der Brust eines jeden Menschen lebten. Der eine Wolf sei aggressiv, rechthaberisch und auf sich selber bezogen. Der andere Wolf sei freundlich, offen und hilfsbereit. Als das Mädchen fragt, welcher Wolf gewinne, meint der Grossvater: Der, den Du fütterst.

Und welchen füttern Sie?

Transformationen vom Typ A und B

Transformation lassen sich grundsätzlich in zwei Typen unterscheiden: Transformation vom Typ A (löst bestehende Kundenprobleme auf eine neue Art und Weise, um das aktuelle Geschäft zu repositionieren und seine Resilienz (Widerstandskraft) zu stärken); Transformation vom Typ B (löst neue (aber verwandte) Kundenprobleme auf eine neue (aber verwandte) Art und Weise, um eine neue Wachstumsmaschine zu kreieren).

Quelle: Anthony, S.; Gilbert, C.; Johnson, M.: Dual Transformation (2017)

Ein Unternehmen kann entweder verändern was es leistet oder wie es leistet – oder Kombinationen daraus. Da die beiden Typen Unternehmen vor unterschiedliche Herausforderungen stellen, ist es wichtig, sie sauber zu unterscheiden, sie nicht zu verwechseln oder gar zu vermischen. Denn in der Regel dominieren die Anforderungen der Transformationen vom Typ A diejenigen vom Typ B, denn sie scheinen einfacher, logischer und weniger gefährlich – eignen sich damit hervorragend zum «Nicht-Verlieren» und geniessen deswegen tendenziell eine grössere Anhängerschaft. Gerade deswegen sollten Transformationen vom Typ B mit eigenen Ressourcen alimentiert und idealerweise einem separaten Team übertragen werden, welches sich eher in der Rolle des «Gewinnenden» übt.

Transformationskultur?

Interessanterweise kommt es weniger darauf an, dass Sie in Transformationen die richtigen Entscheidungen treffen (das wäre auch hellseherisch in Anbetracht ihrer Unberechenbarkeit), als dass sie eine Kultur schaffen, die Transformationen trägt, sowohl die Rolle der «Gewinnenden» als auch die Rolle der «Nicht-Verlierenden» fördert und mit jeweils passenden Erwartungen fordert. Zu diesem Schluss kommt eine Studie (Quelle: Berry; C.; Fowler, A.: Leadership or luck? (2021)) über die Korrelation zwischen CEO-Entscheidungen und den Kursentwicklungen der Unternehmen, in denen sie wirken: Der Einfluss der CEOs ist nur marginal. Erkenntnis: Entscheiden Sie, was Sie entscheiden können und müssen. Sorgen Sie jedoch insbesondere dafür, dass Sie eine Kultur prägen, in denen Transformationen getragen werden.

Fazit: Fragen Sie sich also bei Transformationen: Welchem Typ entsprechen diese? Nehmen Sie und andere die dafür passenden Rollen ein? Und werden zielführende Erwartungen formuliert? Denn wenn nicht, sind Enttäuschungen und Frustration vorprogrammiert, Ergebnisse werden nicht erreicht und Chancen verpasst. Es entstehen die falschen Fehler und dann wird das «Nicht-Verlieren» zum Kernprogramm. Die Balance zwischen Beständigkeit und Dynamik verschiebt sich zulasten der Dynamik. Es etabliert sich eine Kultur der Fehlervermeidung.

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