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Die Mitte pflegen

Wie Sie Ihre Mitte pflegen.

Ausserordentliche Situationen rücken zwei Funktionen ins Scheinwerferlicht: die obersten Führungsrigen einerseits und die Mitarbeitenden andererseits. Im Dunkeln bleiben hingegen zentrale Mitspieler: die mittleren Kader.

Je verworrener Situationen werden, desto mehr rücken obere Führungsetagen in den Vordergrund. Von ihnen werden Entscheidungen, Zuversicht und Mut erwartet. So hat die Pandemie in vielen Unternehmen die oberste Führungsriege schonungslos ins Rampenlicht gestellt. Möglicherweise wurde deswegen in den letzten 12 Monaten derart viel über Führende, über Führung und die (neue) Führungsrolle geschrieben.

Ebenso zugenommen haben Artikel zur Pflege der Mitarbeitenden in Krisen. Persönlich erschrocken bin ich dabei über die schiere Banalität der Vorschläge. Offenbar existieren nach wie vor viele Unternehmen, denen die Grundzüge eines engagierenden Arbeitsumfelds unbekannt sind und die nun erst anfangen, sich damit auseinandersetzen.

Nun finden sich in vielen Unternehmen Funktionen, auf die sich sowohl oberste Führungsriegen als auch Mitarbeitende verlassen: die mittleren Kader. Ihre Bedeutung für die Umsetzung von Transformationen ist zentral. Denn sie stehen oft zwischen zwei Welten: der neuen, spannenden, innovativen zum einen. Und der routinierten, traditionellen, (noch) umsatzstarken zum anderen. Die mittleren Kader vermitteln quasi täglich zwischen diesen beiden Welten - eine kraftzehrende Aufgabe. Viele Kader bestätigen mir denn auch, dass sie sich damit alleine oder überfordert fühlten. Oft würden sie sogar von Vorgesetzten angeschuldigt, Veränderungen zu bremsen. Dieser Vorwurf verwandelt sich rasch zum Bumerang: Denn bei abnehmender sozialer Kohäsion und Unterstützung, sind gerade mittlere Kader offen für einen Stellenwechsel. Denn ihnen kommt das «Weshalb» des täglichen Stretchings abhanden. Kurz: Sie sehnen sich nach einem wertschätzenden Umfeld. Und damit wieder zu Ihnen:

Wie halten Sie Kader gesund, beweglich und stark? Indem Sie seine Relevanz und seine Resilienz stärken.

Vorgesetzte von Kadern nützen gerne (und leider zu oft) zwei Ausreden: «Meine Türe steht Kadern immer offen. Sie müssen halt auf mich zukommen.» Doch dieser Ansatz, führt gerade bei ortsunabhängigem Arbeiten ins Leere. «Ich muss Kader nicht führen, höchstens etwas coachen.» Doch coachen bedeutet nicht «anders führen» - und ist insbesondere in Krisen nicht zwingend die beste Wahl.

Grenzen der Open Door Policy

Viele Mitglieder oberster Führungsriegen praktizieren eine «Open Door Policy» und glauben, sie zeigten dadurch Offenheit oder reduzierten hierarchische Hürden. So nobel dieses Bestreben auch scheint, es hilft kaum in Situationen, in denen nur wenige vor Ort arbeiten oder wenn Kader komplett unter Wasser sind. Der einfache Schluss, wenn niemand kommt, läuft alles bestens ist schlichtweg nicht mehr haltbar. Doch eigentlich funktioniert dieser Ansatz auch ohne Krise nicht. Denn introvertierten Kadern erscheint die Türschwelle stets etwas höher. So bleibt fraglich, inwiefern «passiv, auf Besuch wartende» Vorgesetzte ein reales Bild über die Kader gewinnen.

Im Zuge der galoppierenden Virtualisierungen fehlt meines Erachtens die virtuelle Open Door. Doch wie könnte ihr digitaler Zwilling aussehen? Solange sich Vorgesetzte von einem VideoCall in den nächsten klicken, bleiben keine Türen offen für spontane Besuche. Führende sollten sich pro-aktiv um Kader kümmern, den Weg zu Kadern bewusst gehen und nicht bloss passiv anbieten. Dadurch stärken Sie nicht nur die soziale Kohäsion, sondern zeigen Kadern, welche Bedeutung sie haben. Nicht Ihr Ding? Sie können gar nichts falsch machen. Jede Investition in Beziehungen wird sich gerade in Krisen immer auszahlen. Die Menschen sind alleine; sie suchen nach Orientierung, nach Halt und nach Bedeutung. Schauen Sie in Ihren Kalender: Wann treffen Sie sich «einfach so» mit Ihren Kadern?

Zur Rollenklarheit für Führung und Coaching

Kader werden in vielen Unternehmen als eine Art «einheitliche Kategorie» verstanden. Das erleichtert zwar die interne Kommunikation, die Ausformulierung spezifischer Erwartungen (z.B. als Kaderprofil) und fördert letztlich Transparenz und Vertrauen. Insofern wäre an dieser Kategorisierung nichts auszusetzen. Nur darf sie nicht dazu führen, dass Vorgesetzte die Kader über den gleichen Kamm scheren. Stattdessen sollten sie ihre Rolle bewusst und individuell-situativ wählen (siehe Graphik links):

Quelle: Buerki, M. (2018); Führen mit der T.I.G.E.R.-Methode©; S. 115 (in Anlehnung an Cope, M. (2004))

Die Graphik unterscheidet diverse Rollen, die Führende einnehmen können. Sie unterscheiden sich im Fokus (Performance oder Potential) und in der Herkunft der Lösung (extrinsisch oder intrinsisch). Schon allein daran können Sie erkennen, dass ein undifferenziertes Führungsverständnis («ich muss Kader nicht führen, sondern höchstens coachen») garantiert scheitern wird. Denn die Wahl der Rolle wird niemals bestimmt von der hierarchischen Position der Mitarbeitenden (z.B. Kader), sondern von Zielen, Bedürfnissen und Möglichkeiten. Ein «kategorischer» Wechsel von führen zu coachen ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Gerade in Krisen kann eine (aus Bequemlichkeit) falsch gewählte Rolle, Kadern sprichwörtlich die letzten Nerven kosten beziehungsweise ihre Resilienz schwächen.

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