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Schaffen Sie psychologische Sicherheit!

Der Umgang mit Dynamik, Unsicherheit und Komplexität war noch unlängst ein reines Führungsprivileg. Doch der heroische Versuch, Organisationen und Mitarbeitende davor zu schützen, ist gescheitert. Führende wünschen sich heute mehr denn je ein «ko-kreatives Einmischen» der Mitarbeitenden. Doch ist ihnen selten klar, welche Voraussetzung sie dafür schaffen sollten. Und Ihnen?

Was ist psychologische Sicherheit?

Der Begriff «Psychologische Sicherheit» beschreibt ein menschliches Bedürfnis nach einem Umfeld, in dem man zwar intellektuell herausgefordert wird, einem jedoch wenig bis keine persönlichen sozialen Friktionen ablenken. Für Unternehmen ist diese Sicherheit vor allem deshalb wichtig, weil sie einen zentralen Bogen spannt zwischen Integration und Innovation. In einem psychologisch sicheren Unternehmen reduzieren sich die sozialen Friktionen, dafür erhöhen sich die intellektuellen Friktionen – sie sind wichtige Treiber für Reflektion und damit Entwicklung.

Ähnlich zu Maslows Bedürfnispyramide unterscheidet auch das Konzept der psychologischen Sicherheit aufeinander aufbauende, kumulative Stufen (siehe Graphik unten). Erst wenn die Anforderungen einer Stufe hinreichend erfüllt sind, öffnet sich das Potenzial der nächsthöheren Stufe. Sind alle vier Stufen hinreichend ausgebildet, kann sich psychologische Sicherheit in einem Unternehmen entfalten.

Die Stufen der psychologischen Sicherheit heissen:

  1. Inclusion Safety
  2. Learner Safety
  3. Contributor Safety
  4. Challenger Safety

Diese vier Stufen stehen in der Balance zwischen Erlaubnis und Respekt. Zollen Sie einer Mitarbeitenden zwar viel Respekt, geben ihr jedoch kaum Erlaubnis, agieren Sie bevormundend. Umgekehrt, respektieren Sie die Mitarbeiterin kaum, erlauben ihr jedoch viel, dann beuten Sie sie aus.

Quelle: Clark, T. (2020): The Four Stages of Psychological Safety

Vor diesem Hintergrund erkennen Sie, dass das eingangs erwähnte «ko-kreative Einmischen» erst auf der vierten Stufe (Challenger Safety) möglich ist. Denn nur dort fürchten sich Mitarbeitende nicht vor Sanktionen, wenn sie Bestehendes hinterfragen. Sie wissen, dass unterschiedliche Meinungen akzeptiert werden, dass sie kein Tabu brechen oder jemanden damit beleidigen oder im Stolz verletzen.

So erklärt sich unter anderem, weshalb Führende, die beispielsweise neu in ein System kommen und gleich kontroverse Diskussionen anstossen, kein oder nur wenig Feedback bekommen bzw. Resonanz spüren – was sie übrigens oft als frustrierendes Erlebnis bezeichnen. Das Bewusstsein für die vier Stufen und eine kurze Beurteilung über den Stand in der eigenen Organisationseinheit kann eine solche Erfahrung massiv reduzieren.

Bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass Inclusion Safety nicht einfach die unterste Stufe ist, sondern bereits ein Mindestmass an Respekt und Erlaubnis voraussetzt – den Inclusion Threshold. Erst ab diesem Niveau fühlen sich Mitarbeitende grundsätzlich sicher (im Sinne von integriert, zugehörig, willkommen, …) fühlt.

Das Bedürfnis, akzeptiert zu sein ist grösser als das Bedürfnis gehört zu werden!

Das Konzept der 4 Stufen zeigt eindrücklich, dass es eben wenig bringt, von Mitarbeitenden einfach «innovatives, unternehmerisches Verhalten» zu fordern, ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen zu haben. Ich kann mich als Mitarbeiterin nur dann innovativ einbringen (also den «Innovation Threshold» überschreiten), wenn ich mich nicht nur zugehörig fühle (Inclusion Safety), lernen und fragen darf (Learner Safety), sondern eben auch selbst an die Wertschöpfung des Unternehmens beitragen kann und soll (Contributor Safety). Vermutlich ist es auch erst dank der ersten drei Stufen möglich, neue Ideen zu entwerfen, out of the box Perspektiven einzunehmen oder Bestehendes konstruktiv zu hinterfragen.

Leider habe ich auch Unternehmen kennen gelernt, in denen die ersten drei Stufen zwar mit viel Energie gepflegt wurden, doch der Zugang zur letzten Stufe verschlossen blieb. Weiterentwicklung ausserhalb eines bestimmten Rahmens war nicht erwünscht, wurde nicht toleriert. Diese letzte Stufe kann auch Angst einflössen. Denn wenn vieles hinterfragt werden darf, ist per se nicht klar, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Deswegen stemmen sich oft auch Führende gegen solche Grundsatzdiskussionen, um ihr bisheriges Einflussgebiet zu schützen. Kurz: Sie können nicht ein Challenger Mindset verlangen, während sie gleichzeitig gewisse Themen kategorisch von einer kritischen Diskussion ausschliessen – das ist unglaubwürdig, paternalistisch und zuweilen auch einfach zynisch. PS: In einem der nächsten Newsletter werde ich mich diesem Thema annehmen – und zwar über die Metapher «Elephant in the Room».

Ziel der psychologischen Sicherheit: Eigenverantwortung

Doch was soll das Ganze? Schlussendlich steht die psychologische Sicherheit deshalb im Mittelpunkt, weil Mitarbeitende nicht nur neue Schritte wagen, sondern auch ihr Potenzial einbringen und erweitern sollen. Sie sollen sich wagen, Chancen nützen und Möglichkeiten identifizieren, die auch das Unternehmen weiterbringen. Dieser hohe Grad an Eigenverantwortung ist oberstes (und glücklicherweise beobachtbares) Ziel eines Unternehmens, das aktiv und konsequent in ein psychologisch sicheres Umfeld investiert.

Hinweis zu Veränderungsprojekten: Ist das Konzept der psychologischen Sicherheit erst einmal verstanden, wird es schwierig, beispielsweise Veränderungsresistenz an Funktionen (mittleres Management) oder Alter (Ü55) zu binden. Vielmehr rückt die Frage in den Mittelpunkt, wer auf welcher Stufe steht und deswegen was benötigt für ein eigenverantwortliches, selbständiges Weitergehen. Oder auch andersherum: Wer hat was auf welcher der vier Stufen bisher vernachlässigt, dass sich im Unternehmen nun Widerstand gegen eine Bewegung zeigt?

Psychologische Sicherheit aufbauen

In der nachfolgenden Tabelle habe ich hilfreiche Fragen und mögliche Aktionen zusammengestellt für den Aufbau bzw. die Stärkung der psychologischen Sicherheit in einem Unternehmen. Basis dafür bilden meine Engagements in zahlreichen Unternehmen (Link auf HP) unterschiedlicher Branchen (Versicherungen, Banken, Reiseanbieter, Unternehmens- und Wirtschaftsberatungen, ICT-Unternehmen, Baunebenbranche, Automobilzulieferer, etc.) im In- und Ausland.

FAZIT Selbstverständlich können Sie psychologische Sicherheit nicht einfach aufbauen und es dann gut sein lassen. Analog zur Unternehmenskultur sind Sie und Ihre Führungscrew gefordert, diese «you are never done» Aufgabe kontinuierlich und konsequent wahrzunehmen. In der eingefügten Tabelle finden Sie kleine und hilfreiche Fragen und Aktionen, die Sie dabei unterstützen. Lassen Sie sich dabei von diesem Merksatz leiten: Ignoriert zu werden ist oft schmerzlicher als abgelehnt zu werden – Integration ist DER Schlüssel zu Performance, Innovation und Entwicklung. Viel Erfolg!

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