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Sind Sie (auch) ein Psychopath?

Führende werden kritisch betrachtet, laufend beobachtet und qualifiziert. Dabei kommen sie selten gut weg, zumindest in der öffentlichen, medialen Darstellung. Doch ist diese Positionierung tatsächlich akkurat? Wird der positive Effekt von Führenden systematisch heruntergespielt? Und was hat das alles mit Ihnen zu tun?

Aufgeschreckt hat mich der NZZ-Artikel «Warum sind so viele Chefs Irre und Psychopathen?». Dort werden aus einzelnen Beispielen charakterliche Grundzüge abgeleitet und aufgezeigt, «wie Vorgesetzte ihre Mitarbeiter plagen». Die Autorin behauptet gar, dass Führende grundsätzlich eher narzisstisch veranlagt seien und ihre Ansprüche bevorzugt auf eine intrigierende, blossstellende und herablassende Art und Weise durchsetzten. Dieses Verhalten sei insbesondere eine Reaktion auf die Inklusionsbestrebungen in Unternehmen: Macht dürfe sich nicht mehr offen zeigen und muss deshalb quasi hintenherum ausgeübt werden.

Deshalb frage ich Sie: Sind Vorgesetzte systematische Charakterlumpen? Verhalten Sie sich wie eine Irre? Und wie viele (andere) Psychopathen kennen Sie?

Unabhängig vom handwerklichen Niveau des erwähnten Artikels, muss man sich fragen, ob diese Behauptungen tatsächlich wahr sind und wenn nicht (oder nicht in dem Umfang), weshalb trotzdem eine solche Meinung über Führende besteht. Cui bono?

Mögliche Antworten bietet der Artikel in der «Die Zeit», die mit der Universität Groningen im Nachgang zu Covid-19 der Frage nachging, ob wir Menschen uns in Krisen eher egoistisch oder eher altruistisch verhalten. Die kurze Antwort: Es kommt drauf an was uns täglich vorgespielt wird – und genau deshalb besteht Hoffnung, die öffentlich kolportierte Meinung über Vorgesetzte zu beeinflussen. Doch der Reihe nach.

Was prägt unsere Wahrnehmung von Führenden tatsächlich?

Unsere Meinung über das grundsätzliche Verhalten von Führenden, wird nicht durch nüchternes Beobachten geprägt, sondern vor allem durch unsere emotionale Aufladung dessen, was wir beobachten. Und diese Aufladung wiederum wird bestimmt durch unsere Gedanken und Interpretationen.

Oder andersherum: Unsere Gedanken (G) beeinflussen unsere Emotionen (E) – und NICHT umgekehrt! – und diese treiben unser Verhalten (V), was zu gewissen Resultaten (R) führt. Daraus lassen sich spontan zwei wichtige Erkenntnisse gewinnen. Erstens, wir sind unseren Emotionen nicht hilflos ausgeliefert und können sie dadurch lenken, indem wir anders über Situationen denken lernen. Zweitens, mittels systematischer Reflektion über Erlebtes, kann ich mich entwickeln und zu anderen (besseren) Resultaten kommen.

Die Berichterstattung über Führende prägt also nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere emotionale Bewertung sowie unsere grundsätzliche Erwartung über Führungsverhalten.

So wurden im Rahmen der erwähnten Befragung, ob sich Menschen in Krisen eher egoistisch oder eher altruistisch verhalten, eben auch die mediale Berichterstattung ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass in Medien das egoistische Verhalten häufiger und umfangreicher erwähnt wurde als das altruistische – selbst wenn allein die Menge der Ereignisse eindeutig zeigt, dass wir uns in Krisen tatsächlich altruistisch verhalten.

Nun möchte ich die Medien hier nicht der Lüge bezichtigen. Doch sollten mediale Berichterstattung immer auch als Produkt verstehen, das nach wirtschaftlichen Kriterien gestaltet wird, also Käuferbedürfnisse zu befriedigen sucht. Und da sich erfahrungsgemäss negative Berichte besser verkaufen lassen, leidet darunter – wie beispielsweise die erwähnte Befragung zeigt – die objektive, diversifizierte (positive?) Berichterstattung.

Dadurch wird unsere Wahrnehmung, unser Bild über Führung verzerrt – und zwar nicht nur unser heutiges Bild, sondern auch unsere grundsätzliche Erwartung darüber, wie sich Führende verhalten. So wurde in der Befragung klar, dass die verzerrte Darstellung dazu führt, dass wir von unseren Nachbarn eher ein egoistisches Verhalten erwarten (und uns darauf vorbereiten). Selbst wenn wir also «gutes» Führungsverhalten erleben, verstehen wir es als Ausnahme, denn die Regel wird uns anders dargestellt.

Ob wir «so viele Chefs als Irre oder Psychopathen» erleben, hängt wesentlich davon ab, wie wir Informationen über Führungsverhalten konsumieren, hinterfragen und verarbeiten. Das ist eine Aufgabe, die wir nicht nur aus einer persönlichen Sicht angehen sollten, sondern auch aus einer gesellschaftlichen: Überall herrscht Fachkräftemangel, Mitarbeiter stellen heute die Bedingungen, zu denen sie arbeiten wollen. Kritik und Nachfragen erleben sie als mühsam, positives Feedback als die Regel.

Welche Erwartungen werden an Führende gestellt?

Kann es also sein, dass die grundsätzliche Ausübung von Führung (z.B. gestalten) als einmischen, beschränken oder beeinflussen interpretiert wird und deswegen unangenehm ist? Dann müssten wir davon ausgehen, dass insbesondere jüngere Mitarbeitende in behüteten, alles ermöglichenden und alles erlaubenden – also in einem positiv-verzerrendem – Umfeld gross geworden sind. (PS: Auch darüber berichten Medien in Zusammenhang mit dem Generationenwandel ausufernd). Dann sind Vorgesetzte, die Leistung und Eigenverantwortlichkeit erwarten, die Nachfragen, die sich nicht sofort zufriedengeben, keine Menschen, mit denen man sich umgeben möchte. Interaktionen mit Führenden gelten dann nicht als bekömmlich.

Wenn jedoch die negativ-verzerrte Berichterstattung dafür sorgt, dass von Führenden ein grundsätzlich schlechtes Verhalten erwartet wird, und von (jüngeren) Mitarbeitenden überzogene Ansprüche, dann wird es für beide Parteien schwierig, sich auf einer konstruktiven, produktiven Ebene zu treffen. Stets hat die eine Partei den Eindruck, über den Tisch gezogen zu werden, etwas Besseres zu verdienen.

Ist ein Ausweg in Sicht?

Aus meiner Sicht gibt es hier nur einen Ansatz: den konstanten, wertstiftenden Dialog. Nur ein konstanter, kontinuierlicher und konsequenter Austausch schafft gegenseitiges Vertrauen und auch Vertrautheit. Beides fördert die Reflektion und damit unsere emotionale Einstellung zueinander sowie schliesslich unser Verhalten (Kooperation, Unterstützung, Integration, …) – wie in der Graphik oben dargestellt. Und dieser Austausch sollte nicht nur regelmässig erfolgen (und damit meine ich mindestens monatlich), sondern eben auch wertstiftend. Das kann übersetzt werden mit klärend, hilfreich, bewegend.

Grundsätzlich geht es mir in diesem Artikel darum, dass auch Führende konsequent über Führungserfolge, über positive Erlebnisse sprechen sollten. Denn dem medialen Gegenwind lässt sich nur so beikommen. Ich kenne weder irre noch psychopathische Führende. Auch höre ich keine Geschichten über solche. Ich negiere nicht, dass gerade mit dem aktuellen Umfeld und seinen Entwicklungen nicht alle gleichgut zurechtkommen, anecken oder sich nicht flauschig (genug) verhalten. Doch deswegen Führenden grundsätzlich charakterliche Schwächen anzudichten, finde ich übertrieben und gefährlich. Und es ist vor allem unfair all jenen Führenden gegenüber, die sich tagtäglich einsetzen, damit Mitarbeitende aufblühen können, Chancen erhalten, so dass gemeinsam knackige Herausforderungen gelöst werden können.

Also: Cui bono der negativen Meinung über Führende? Weder Sie noch ich. Weder Mitarbeitende noch Führende. Weder Transparenz noch Qualität. Es ist allein der Informationshändler. Also müssen wir alle konsequent über positive Beispiele sprechen. Und zwar jeden Tag. Handeln auch wir mit Informationen!

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