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Werfen Sie alte Rituale über Bord!

Rituale sind Phänomene der Kommunikation. Sie festigen Konventionen und fördern Zugehörigkeit. Dennoch (oder deswegen) behindern sie Transformationen. Misten Sie aus und schaffen Sie neue!

In unserem beruflichen Alltag finden wir zahlreiche Rituale. Während wir die einen kaum bemerken (Anrede in Begrüssungen, Vorgehen für Gespräche mit Vorgesetzten, …), fallen die anderen durch ihr Zeremoniell auf (interne Beförderungsgespräche, Verabschiedungen, …). Unabhängig von ihrer Beobachtbarkeit stiften sie alle (Verhaltens-) Sicherheit und deswegen leider auch Konventionen und Macht – und verhindern schliesslich auch Veränderungen. Viele Führende unterschätzen deren Elastizität: So scheinen Veränderungsimpulse (z.B. eine bereichsübergreifende Initiative zur Kundenakquisition) zwar konkrete Resultate zu zeigen, meistens jedoch ohne anhaltende Wirkung.

Kleine Übung: Wenn Sie die implizite Kraft eines Rituals spüren möchte, dann setzen Sie sich zu Hause beim Abendessen ganz spontan auf den Stuhl der Tochter oder des Sohns. Sie werdend dann unmittelbar die Resistenz eines Rituals spüren – und sehen, was dieses Ritual mit und aus anderen Menschen macht.

Günstige und ungünstige Wirkungen

Rituale haben zwei Gesichter. Einerseits schaffen sie Klarheit darüber, welches Verhalten erwünscht ist und welches nicht. Sie transportieren Kultur und Werte, an denen sich das Zusammenleben unter Mitarbeitenden im Unternehmen orientieren soll und prägt also Themen wir Kooperation, Kommunikation, Toleranz, Vielfältigkeit und Transparenz. Rituale machen die Identität des Unternehmens greifbar und sie stärken das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeitenden. Das sind grundsätzlich günstige Wirkungen.

Andererseits entstehen durch Rituale aber auch kollektive Kontrollapparate, welche die für die Einhaltung der mit den Ritualen verbundenen Regeln, Rollen und Erwartungen sorgen – und Abweichungen sanktionieren. Da ihnen jedoch ein offizielles Machtorgan fehlt, nützen diese Apparate inoffizielle und oft auch indirekte Strafen: Mobbing, Kommunikationsentzug, Ausgrenzung. Strafen also, die in der Regel durch keinen eindeutig identifizierbaren Strafenden ausgeübt werden und dennoch schmerzhafte, psychische Wunden schlagen. Das sind eher weniger günstige Wirkungen.

Ob günstig oder ungünstig: Beide Wirkungen führen dazu, dass sich erstens Menschen einem Ritual unterordnen (auch wenn es sich für viele vermutlich nicht so anfühlt) und dass zweitens Veränderungen, welche bestehende Rituale nicht angemessen berücksichtigen, schlichtweg ausgehebelt werden, ohne dass Täter oder konkrete Tatbestände gefunden würden.

Wechselseitige Abhängigkeiten

Zwischen Ritualen und Ritualisierten besteht eine interessante Beziehung: Sie benötigen einander. Ob Sie nun Ihren privaten oder Ihren beruflichen Kontext betrachten, Sie werden feststellen, dass Rituale nur dann wirken, wenn sie von einer hinreichend grossen Menschenmenge unterstützt werden. Im Gegenzug bieten sie diesen Unterstützenden die Möglichkeit, sich von anderen zu unterscheiden, spezifische (implizite) Machtstrukturen zu unterhalten und andere zu kontrollieren, zu beeinflussen und zu sanktionieren.

Weiter benötigen und fördern Rituale eine einfache schwarz-weisse Weltanschauung. Sie kennen keine Graubereiche und sind simple entweder-oder Aufforderungen. Entweder unterstützen Sie ein Ritual oder nicht. Ein Hin und Her, eine sowohl-als-auch Perspektive werden in der Regel vom Kontrollapparat nicht toleriert. Kurz: Rituale fördern zwar ein Gemeinschaftsgefühl – aber nur für die Ritualisierten. Die anderen werden ausgegrenzt.

Und schliesslich vereinfachen Rituale das Leben der Mitarbeitenden in einem Unternehmen. Führung und Steuerung würden ohne Rituale enorm aufwändig und hohe Transaktionskosten nach sich ziehen. Somit besteht also auch zwischen Ritualen und Unternehmen eine Abhängigkeit. Während Rituale den Umgang mit Bestehendem erleichtern, hemmen sie gleichzeitig die Entwicklung und Integration von Neuem.

Hinweis: Das trifft insbesondere und ganz spezifisch auf dezentrale, auf Selbstorganisation bauende, sozio- oder holokratische Organisationen zu. Diese dominieren derzeit die Diskussion um Purpose / Sinn / Zweck, weil sie einsehen, dass nur Rituale den inneren Zusammenhalt fördern und bei aller Offenheit, Diversität und Inklusion eine Unterscheidung zwischen innen und aussen ermöglichen. Wenn Sie in Ihrem Unternehmen also gerade über den Purpose des Unternehmens nachdenken, dann fragen Sie sich, welche neue Rituale Sie damit einführen, welche bestehende Rituale Sie angreifen und wie Sie Mitarbeitenden helfen, mit den sich unweigerlich entfaltenden Konflikten umzugehen.

Konsequenzen für Transformationen

Rituale steuern Verhalten. Die meisten Unternehmenstransformationen setzen voraus, dass sich Mitarbeitende während und danach anders verhalten als bisher. Inzwischen haben viele Führende erkannt, dass es wenig bringt, die rationalen Gründe einer Transformation gebetsmühlenartig zu wiederholen. Denn es sind vor allem Emotionen, die sich gegen Transformationen stellen: Braucht es mich noch? Werde ich den neuen Anforderungen genügen? Wer hilft mir oder bin ich allein? Was verliere ich?

Als wäre dies nicht schon herausfordernd genug, wecken Transformationen neben Ängsten oder Sorgen eben auch Rituale, die gleich tief im Unternehmenskeller schlafenden Wachhunden plötzlich aufschrecken, die beeindruckenden Zähne fletschen und wild bellend an ihren Ketten zerren, um zu verhindern, dass man sich ihnen bzw. bestehenden Ritualen nähert.

Oder in anderen Worten: Rituale werden Sie meistens erst dann entdecken, wenn Sie etwas verändern wollen oder müssen.

Wenn Sie ihr Unternehmen kennen lernen wollen, dann versuchen Sie, es zu verändern.

Da Führung immer Transformation impliziert, werden Sie sich unweigerlich mit den Auswirkungen von Ritualen befassen müssen. Dann sollten Ihre Argumente von einer Mehrheit der Mitarbeitenden verstanden und unterstützt werden. Und dann sollten Ihre Neuerungen so attraktiv sein, dass die bestandserhaltende Wirkung von alten Ritualen verblasst. Gelingt Ihnen das nicht, können Sie entweder befehlen und sanktionieren (und damit gleichzeitig ein neues Ritual lancieren) oder Sie verlassen dieses System.

Ich schlage Ihnen deshalb vor, Transformationen nicht nur strategisch zu begründen, sondern diese auch mit Sicht auf Rituale vorzubereiten und zu führen. Und weil sich Rituale erst dann bemerkbar machen, wenn sie wirklich angegriffen werden, sollten Sie die vielschichtigen und mehrdeutigen Auswirkungen der Transformationen regelmässig besprechen (am besten gemeinsam mit einem Führungsteam und einer punktuellen, externen Unterstützung). Dadurch erkennen Sie, wie bestehende Rituale wirken, mit welchen Argumenten sie Mitarbeitende dazu bringen, ein anderes Ritual zu pflegen. Sie können mit bestehenden Ritualen nur aufräumen, wenn Sie sie ersetzen – also neue, eigene Rituale schaffen. Beginnen Sie einfach damit, Rituale aufzuspüren, die Ihren Veränderungsabsichten im Weg stehen. Prominente Beispiele sind: Wegsehen statt ansprechen; Stallgeruch vorziehen; Liebesentzug androhen.

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