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Betreiben Sie Verbalhygiene!
Von Mitarbeitenden wird viel erwartet: Sie sollen systemisch denken, Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und diverse Meinungen integrieren, inkludierend kommunizieren und agil entscheiden – wie behalten Sie Fokus und Wirkung in diesem Dschungel an Adjektiven?
Adjektive beschreiben. Sie erklären, fordern oder spezifizieren eine implizite Erwartung an eine Handlung. So sollen Führende beispielsweise nicht bloss denken, sondern systemisch denken. Sie sollen Ziele nicht nur verständlich vermitteln, sondern inkludierend kommunizieren. Es liessen sich hier beliebig viele andere Beispiele anfügen. Ihnen gemeinsam ist der Versuch, eine bestimmte Wirkung in der Führung zu erzielen. Sie stützen auf verschiedenste Modelle und Theorien. Diese unterstellen, dass diese und jene Spezifizierung einer Handlung ausschlaggebend und signifikant sei für die erfolgreiche Führungswirkung in einem System.
Leider erhöhen diese Spezifizierungen nicht nur die Sensibilisierung für ein relevantes Thema, sondern sie schaffen auch Probleme: So beobachte ich zunehmend, dass Führende, die gestalten wollen, eher gebremst werden, während Führende, die eigentlich nicht (mehr) führen sollten, (weiterhin) geschont werden. Wie kann das sein?
Wann ist gut gut genug?
Till Jansen bemerkt in seinem Beitrag in der zfo (1/22), dass man zwar nicht wisse, was gut ist, sich offenbar jedoch einig darin sei, dass gut immer auch gut ist. Dass jedoch das Gute immer auch das Schlechte mit sich führe. So stehen plötzlich (bisherige) Ansprüche an Qualität einem modernen Innovationsprozess im Weg, oder eine solide Investitionspolitik wird durch eine MVP-getriebene Argumentation ausgebremst.
«Der Wille zum Guten macht Dinge nicht unbedingt besser.»
Im Kontext der Führung beschreiben Adjektive stets gute im Sinne von kulturspezifisch akzeptierten und erwarteten Handlungen. Und sie entspringen in den meisten Fällen ursprünglich gut gemeinter Initiativen. Die offensichtlichen Schlussfolgerungen lauten daher: Mehr von etwas ist immer gut bzw. besser. Bei nach oben offenen Skalen wird eine Zielerreichung bzw. eine nachhaltige Verhaltensveränderung delikat. Denn wann ist gut auch gut genug? Oft reicht ja ein «besser als vorher» nicht. Vielmehr werden diese eher diffusen Erwartungen kontinuierlich nach oben geschraubt. Das ist zwar verständlich für jene, welche hinter den Erwartungen oder Forderungen stehen. Nur, wenn Verbesserungsschritte bloss als Zwischenziele akzeptiert werden, wird es schwierig, das Momentum für diese Veränderungen aufrecht zu erhalten. Denn auch Sie werden sich nur dann einem agilen Mindset öffnen, wenn es zu etwas erkennbar Positivem führt und nicht bloss zu einer Reduktion von Schlechtem.
Deshalb scheint es mir nicht nur sinnvoll oder hilfreich, sondern absolut zentral, dass Sie sich für sich und auch im Unternehmen bestimmen, was ein Adjektiv bedeutet und wie es im Unternehmen umgesetzt werden soll bzw. woran Mitarbeitende erkennen können, dass sie sich im Sinne dieses Adjektivs (und damit «gut») verhalten. Was bedeutet denn nun inkludierend kommunizieren? Und wo soll sich «beweglich» zeigen? Und vor allem wo nicht? Helfen Sie Führenden, ihren Weg zu finden, indem Sie sich für Klarheit einsetzen. Denn es gibt selten die eine klare Klarheit – sie ist meistens hochgradig kontextspezifisch. Zudem wird diese Klarheit Führende unterstützen, Ihre Kräfte gestaltend einzusetzen und sich im System einzubringen.
Ungenügend wird salonfähig
Leider schaffen Adjektive mit ihren nach oben offenen Skalen auch Raum für Ausreden. Während sich die einen bemühen, ihr Verhalten zum Guten zu verändern (jedoch nie wissen, ob und wann sie sich tatsächlich «gut» verhalten), nützen die anderen die offenen Skalen, um kleinste Veränderungen als Erfolge zu positionieren und weitere Forderungen auf die lange Bank zu schieben. Die fehlende Klarheit in den Adjektiven schafft eine Situation, in der eigentlich ungenügendes Verhalten salonfähig wird, weil nicht über das Resultat an sich gesprochen wird, sondern allein über die Veränderung. Damit wird etwas Inklusion bereits «gut», obgleich initiativere Führende unter den gleichen Bedingungen tatsächlich mehr erreicht hätten. Jegliche Diskussion um eine wie auch immer formulierte Zielerreichung wird absurd, solange es Ihnen nicht gelingt, die Metaebene zu verlassen und diese Adjektive konkret mit Inhalt zu füllen. Und so bleiben Führende, die nicht oder nicht mehr führen sollten in ihren Positionen und verhindern, bremsen oder untergraben Ihre Anstrengungen, ihre Führungs- und Zusammenarbeitskultur aktiv zu gestalten.
Zurecht mögen nun einige einwenden, dass sie den lieben langen Tag besseres zu tun hätten, als Zeit in diese Wortklaubereien zu stecken – beispielsweise, wenn sie in einem eng getakteten Projektumfeld arbeiten. Bei einer hohen Interaktionsdichte (zahlreiche Meetings, Absprachen, Austausch, …) fällt es vermutlich leichter, Worte mit einem erlebbaren Inhalt zu füllen. Fallen diese Möglichkeiten weg (wie während der Covid-Pandemie) und erhalten Mitarbeitende quasi per Mausklick Zugang zu unendlich vielen Informationen zu diesen Adjektiven, werden sie die für sie passendste Version wählen – würden wir vermutlich alle auch so machen. Als Führende – und damit spreche ich Sie gezielt in Ihrer Rolle als Systemgestalter an – können und sollten Sie deshalb Mitarbeitenden Orientierung bieten und die Bedeutung dieser Adjektive aus Sicht des Unternehmens beschreiben und (er)klären.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Unternehmen möchte, dass Mitarbeitende transparent kommunizieren. Was ist damit gemeint? Sollen Mitarbeitende nicht lügen, sollen sie mit offenen Karten spielen, sollen sie die Risiken gleichermassen betonen wie die Chancen? Sollen Führende heute sagen, welche Jobs es morgen nicht mehr braucht? Oder sollen die Löhne für alle offengelegt werden? Und was wären Beispiele einer intransparenten Kommunikation? Welche Ausnahmen gibt es aus welchen Gründen?
Verbalhygiene prägt Kultur
Wenn wir etwas sagen, haben wir meistens zuvor darüber nachgedacht. Wenn sich Mitarbeitende beispielsweise negativ über einen Kunden äussern, dann haben sie sich mehr oder weniger akkurat eine Meinung darüber gebildet. Der Kunde ist beispielsweise «mühsam», «kleinkariert», «kompliziert» oder «kann sich nicht entscheiden». Kurz der Kunde wird beschrieben und diese Beschreibung setzt sich in den Köpfen der Mitarbeitenden fest und beeinflusst deren Verhalten. Wenn Sie diesen unglücklichen Kreislauf nicht unterbrechen, wird es im Unternehmen schon bald also normal angesehen, über diesen Kunden zu lästern – was dieser früher oder später sicherlich auch mitbekommen wird.
Diesen Kreislauf unterbrechen Sie durch gezieltes, auf diese Beschreibungen fokussiertes Feedback – als Frage verpackt: «Was meinst Du mit «kompliziert»? Anschliessend können Sie weitere Fragen stellen: «Was glaubst Du, braucht dieser Kunde von uns?» oder «Wie kannst Du dem Kunden helfen, rascher oder einfacher vorwärts zu kommen?» Mit Ihren Fragen unterstützen Sie Mitarbeitende darin, eine andere Perspektive zu gewinnen – und im Beispiel oben eine andere Beschreibung für den Kunden zu finden.
Die Führungsaufgabe manifestiert sich in der Regel durch Interaktionen, also letztlich durch Worte. Diese setzen sich fest. Sind diese unklar, unglücklich beladen oder gar inakzeptabel, beeinflussen sie Meinungen und in der Folge Verhaltensweisen, die Ihnen und dem Unternehmen möglicherweise schaden. Es geht nicht darum, Vorschriften zu erlassen und Meinungsfreiheit zu beschränken. Sondern es geht darum, pro-aktiv Beschreibungen aufzugreifen und zu klären. Diese Form der Verbalhygiene prägt ihre Kultur weit umfassender als die nächste Sommerparty.